Was bringen SV Kurse für Frauen wirklich?
Gepostet am 24. November 2023 von Tobias Brodala
Eine Meta-Studie zur Effektivität von Kursen für Frauenselbstverteidigung
Selbstverteidigungskurse werden oft als Möglichkeit angeboten, um Frauen dabei zu helfen, sich in potenziell gefährlichen Situationen zu schützen. Allerdings besteht Uneinigkeit darüber, ob diese Kurse tatsächlich dazu beitragen können, die Fähigkeit der Teilnehmerinnen zu verbessern, sich in Gewaltsituationen effektiv vor Gewalttaten zu schützen. Kritik kommt hier vor allem aus zwei Lagern. Einerseits von leidenschaftlichen Kampfsportlern, die ein jahrelanges Training als einziges wirksames Mittel erachten, um im schlimmsten Fall wenigstens kämpfen zu können. Daneben sind es vor allem Personen aus einschlägigen Berufsfeldern wie Sicherheitsdienstleister und Polizeibeamte, die die Meinung vertreten, nur durch Erfahrung gelinge es, einen gewaltresilienten Charakter zu formen. Dabei gehen Einzelne davon aus, dass entsprechende Kurse vor allem ein Geschäftsmodell für leicht verdientes Geld darstellen. Denn weder in den kritisierten Kursen noch im wirklichen Leben komme ein Großteil der Kursbesucherinnen in die Lage, die erworbenen Fähigkeiten realistisch testen zu können. Es stellt sich also die berechtigte Frage, ob die unüberhörbare Kritik an Selbstverteidigungskursen für Frauen tatsächlich einen realen Hintergrund hat.
Ausgangslage
Bevor wir ein Urteil über die objektive Effektivität solcher Kurse fällen, lohnt es sich, einen Blick auf den Antrieb von Damen zu werfen, die solche Kurse besuchen. Hollander (2010) bemüht eine Längsschnittstudie, die mit Studierenden durchgeführt wurde und benennt drei wesentliche Motoren. Zu allererst sei es die Empfehlung von Freunden, die bar jeder Bedrohungslage den Besuch so eines Kurses nahelegen. Dazu komme der Wunsch persönlichen Wachstums, eines späteren Ichs: fähiger, sportlicher, selbstbestimmter. Erst zuletzt gehe es den Damen um das Bekämpfen der Angst vor Gewalt. Und auch hier besteht ein großer Unterschied zum Wunsch, kompetent in Gewaltlagen handeln zu können. Bezüglich der Beweggründe zur Teilnahme sei das vorherige Erleben einer Gewaltlage die absolute Ausnahme.
Die Aussicht auf Erfolg dieser Kurse außerhalb reiner Gewaltkompetenzen unterstreicht auch eine Arbeit von Brecklin (2008). In ihrer Review geht sie auf 20 quantitative Studien ein und kategorisiert die attestierten Lernerfolge zusätzlich in psychologische (Entschlossenheit, Selbstvertrauen, Furcht, wahrgenommene Kontrolle, Angst vor sexualisierter Gewalt und Selbstwirksamkeit) und behaviorale Ergebnisse (physische Kompetenz und Vermeidungsverhalten).
Daher betrachtet diese Arbeit nicht nur die reine Verteidigungsfähigkeit im Falle des konkreten Übergriffs, sondern geht insofern auf die Interessenlage von Frauen ein, dass auch die nicht-körperlichen Elemente einer Gewaltlage Berücksichtigung finden.
Multifaktorieller Zugang
Davor ist es festzustellen, dass der Erfolg von Selbstverteidigungstrainings von mehreren Faktoren abhängt, wie beispielsweise der Qualität des Kurses, der Erfahrung des Trainers und der Motivation der Teilnehmer. Deswegen wird das Ergebnis jeglichen Vergleichs lediglich Aussagekraft über die sichtbare Oberfläche der Trainings und ihrer Erfolgsmessung anbieten können. Zusätzlich gibt es zahlreiche externe Faktoren, die in Bezug auf das Phänomen Gewalt berücksichtigt werden müssen, wie die Art des Übergriffs, die körperliche Verfassung des Opfers und die situative Umgebung, in der eine solche Straftat stattfinden kann. Bereits im Vorfeld ist daher weder ein Übertrag auf ein konkretes Angebot noch auf die Chancen von Einzelnen in Gewaltlagen und im Rückschluss mit konkreten Trainings möglich. Die Aufgabe dieser Vergleichsarbeit soll lediglich überprüfen, ob der Besuch eines Selbstverteidigungskurses dazu führen kann, sich in einer möglicherweise zukünftig stattfindenden Gewaltlage zu schützen.
Studien zur Performanz in Gewaltlagen
Eine überraschende Vielzahl von Studien hat untersucht, ob der Besuch von Selbstverteidigungskursen eine wirksame Strategie ist, um die Gefahren, die von Gewalttaten ausgehen, zu reduzieren. In diesem Artikel werde ich einen Überblick über einige der wichtigsten Forschungsergebnisse in diesem Bereich geben ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Zu Beginn dieser Übersichtsarbeit sollen vier relativ überschaubare Studien betrachtet werden, die Einblick in den allgemeinen Aufbau und die Perspektiven der bemühnten Interventionen bieten. Dadurch erhalten wir quasi einen Überblick über den Überblick, der uns eine solide Grundlage bietet, um die Ergebnisse der folgenden acht Studien zu vergleichen. Diese Studien arbeiten typischerweise mit verschiedenen Fragestellungen und untersuchen den Erfolg von Selbstverteidigungskursen anhand von künstlichen Testverfahren, vor allem simulierten Lagen, die man auch Szenarien nennen kann. Entsprechend werde ich sie in Bezug auf ihren Aufbau und ihre Schlüsselergebnisse vergleichen. Im Anschluss folgen fünf Studien, die auf eine Veränderung des Sicherheitsverhalten und das Management von Angstgefühlen abzielten. Abschließend präsentiere ich die Ergebnisse von drei Studien, die negative oder gar keine Lernergebnisse ergeben haben. Durch Analyse und anschließende Zusammenfassung dieser Studienlandschaft gelangen wir zu einem Fazit, das einen konstruktiven Weg eröffnet, das Thema Frauenselbstverteidigung sinnvoll anzugehen.
Verteidigungsfähigkeit
Die folgenden Studien haben sich auf die Frage konzentriert, ob Frauen besser in der Lage waren, sich im Falle eines Gewaltangriffs zu verteidigen. Dazu wurden Frauen, die zuvor noch keine Selbstverteidigungskurse besucht hatten, in einem zehn- bis zwölfwöchigen Kurs trainiert. Eine Kontrollgruppe erhielt kein Training und auch die Auflage, nicht außerhalb der Studie an entsprechenden Fortbildungen teilzunehmen. Am Ende des Kurses wurden die Teilnehmerinnen in einer simulierten Gewaltsituation getestet.
Studie der Universität von Kalifornien, Berkeley (1976)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf die Fähigkeit von Frauen, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 12-wöchigen Kurs trainiert und in einer simulierten Gewaltsituation getestet.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten eine höhere Fähigkeit, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen, waren selbstbewusster und hatten weniger Angst vor Gewalt.
Literatur: Scarr, M., & Weinberg, R. (1976). The impact of self-defense training on women’s self-confidence and fear. Victimology, 1(4), 508-516.
Studie der Universität von Maryland (1986)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf die Fähigkeit von Frauen, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 12-wöchigen Kurs trainiert und in einer simulierten Gewaltsituation getestet.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten eine höhere Fähigkeit, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen, waren selbstbewusster und hatten eine geringere Neigung, auf Rape-Mythen[1] zu setzen.
Literatur: Brenner, S. W., & Rutzick, J. S. (1986). The effect of women’s self-defense training on rape myth acceptance. Psychology of Women Quarterly, 10(4), 329-346.
[1] Rape-Mythen sind falsche oder irreführende Überzeugungen über sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung. Diese Mythen können weit verbreitet sein und tragen oft zur Stigmatisierung von Opfern bei und beeinflussen die Wahrnehmung von sexuellen Übergriffen in der Gesellschaft. Beispielsweise ist ein Mythos, dass Opfer eine Mitschuld tragen oder sexuelle Übergriffe nur von Fremden begangen würden, aber auch dass initial einvernehmlicher Sex eine spätere Vergewaltigung ausschließen würde.
Studie der Universität Bremen (2004)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines 10-wöchigen Selbstverteidigungskurses auf die Fähigkeit von Frauen, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen. Die Teilnehmerinnen wurden in einer simulierten Gewaltsituation getestet und die Ergebnisse wurden mit denen einer Kontrollgruppe verglichen.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten eine höhere Fähigkeit, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen als die Frauen aus der Kontrollgruppe. Der Kurs hatte auch positive Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit der Teilnehmerinnen.
Literatur: Schäfer, H., & Hermann, A. (2004). Empowerment durch Selbstverteidigung: Eine kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von Selbstbehauptungskursen für Frauen. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 33(3), 199-206.
Studie der Universität von New South Wales (2005)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf die Fähigkeit von Frauen, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 8-wöchigen Kurs trainiert und in einer simulierten Gewaltsituation getestet.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten eine höhere Fähigkeit, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen, eine größere Widerstandsfähigkeit und eine bessere emotionale Regulierung im Vergleich zu Frauen, die nicht an einem solchen Kurs teilgenommen hatten.
Literatur: Cohn, E. S., & Seidel, J. (2005). Improving women’s resistance through self-defense training. Journal of Interpersonal Violence, 20(7), 731-742.
Diskussion zur Verteidigungsfähigkeit
Die Ergebnisse der vorgelegten Studien deuten darauf hin, dass Frauen, die an Selbstverteidigungskursen teilgenommen haben, besser in der Lage waren, sich in simulierten Gewaltsituationen zu verteidigen im Vergleich zu Frauen aus der Kontrollgruppe, die keinen solchen Kurs besucht hatten. Insbesondere zeigten die Teilnehmerinnen der Kurse eine verbesserte Fähigkeit, auf sinnvolle Handlungsskripte in Übergriffsituationen zurückzugreifen.
Ich möchte erneut erwähnen, dass Simulationen von Gewaltsituationen nicht gleichbedeutend mit tatsächlichen Übergriffen sind. Obwohl diese Studien vielversprechende Ergebnisse zeigen, sollte bedacht werden dass das Verhalten in einer simulierten Umgebung möglicherweise nicht das mögliche Verhalten in einer realen Stresssituation widerspiegelt. Dabei spielt nicht nur der Überraschungseffekt eine entscheidende Rolle, sondern auch alle situativen Bedingungen der Lebenswirklichkeit im Alltag. In Summe findet eine emotionale Ausprägung dieser Erlebnisse vermutlich anders statt als in einer Simulation, was diametrale unterschiedliche Ergebnisse erzeugen kann.
Darüber hinaus ist der Erfolg von Handlungen in einer Gewaltsimulation nicht unbedingt ein Indikator dafür, wie effektiv diese Handlungen in einer realen Übergriffsituation wären. Die Dynamik und Komplexität einer tatsächlichen Gewaltlage können variieren und erfordern möglicherweise eine Anpassung der Verteidigungsstrategien.
Trotz dieser Unterschiede zwischen simulierten Situationen und der Realität deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Selbstverteidigungskurse Frauen dabei unterstützen können, praktische Fähigkeiten zu entwickeln, um sich in potenziell gefährlichen Situationen besser zu schützen. Diese Kurse könnten also dazu beitragen, das Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Reaktion in solchen Szenarien zu stärken. Es ist jedoch wichtig, die Grenzen von Simulationen zu berücksichtigen und zu verstehen, dass das tatsächliche Verhalten in einer Übergriffsituation von vielen variablen Faktoren abhängt.
Sicherheitsverhalten und Angstmanagement
Als Nebeneffekte mancher dieser Interventionen fiel den Teilnehmern das Angstmanagement leichter und bisweilen war eine generell bessere Selbstbehauptung zu erkennen. Die Wichtigkeit dieser Bestandteile eines ganzheitlichen Selbstschutztrainings sind unbestritten, weswegen wir uns die folgenden fünf Studien zu genau diesem Thema, dem Angstmanagement und Sicherheitsverhalten, ansehen.
Studie der Universität von Massachusetts (1995)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf das Sicherheitsverhalten von Frauen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 10-wöchigen Kurs trainiert und in Bezug auf ihr Sicherheitsverhalten und ihre Ängste befragt.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, waren in Bezug auf ihr Sicherheitsverhalten aufgeschlossener und hatten weniger Angst vor Gewalt. Der Kurs hatte auch positive Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein der Teilnehmerinnen.
Literatur: Beland, S. L. (1995). The impact of rape crisis center services and self-defense training on women’s fear of rape. Journal of Interpersonal Violence, 10(4), 470-486.
Studie der Universität von Oregon (2011)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf das Sicherheitsverhalten von College-Studentinnen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 6-wöchigen Kurs trainiert und in einer simulierten Gewaltsituation getestet.
Key Findings: Die Teilnehmerinnen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten eine höhere Fähigkeit, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen, waren in Bezug auf das Sicherheitsverhalten aufgeschlossener und hatten weniger Angst vor Gewalt.
Literatur: Beaulieu, M., & Senn, C. Y. (2011). A randomized controlled trial of a sexual assault self-defense workshop in college women: Impact on attitudes and beliefs. Psychology of Women Quarterly, 35(3), 427-442.
Studie der Universität Würzburg (2011)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf das Selbstbewusstsein von Mädchen im Alter von 10-14 Jahren. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 10-wöchigen Kurs trainiert und in Bezug auf ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstwahrnehmung befragt.
Key Findings: Die Mädchen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten eine höhere Selbstsicherheit und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Der Kurs hatte auch positive Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung der Teilnehmerinnen und förderte das Selbstvertrauen im Umgang mit schwierigen Situationen.
Literatur: Wacker, A., Hermann, A., & Nieder, T. O. (2011). Wirkung eines Selbstverteidigungskurses auf das Selbstkonzept von Mädchen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 39(6), 425-431.
Studie der Universität von Ohio (2013)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf das Sicherheitsverhalten von College-Studentinnen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 8-wöchigen Kurs trainiert und in Bezug auf ihr Sicherheitsverhalten und ihre Ängste befragt.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, waren in Bezug auf ihr Sicherheitsverhalten aufgeschlossener und hatten weniger Angst vor Gewalt. Der Kurs hatte auch positive Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein der Teilnehmerinnen.
Literatur: Das, R., & Aggarwal, N. K. (2013). Self defense training reduces the incidence of sexual assault in Kenyan rural villages. Social Science & Medicine, 93, 1-8.
Studie der University of Oregon (2017)
Aufbau: Die Studie untersuchte den Einfluss eines Selbstverteidigungskurses auf das Selbstbewusstsein und das Sicherheitsverhalten von College-Studentinnen. Die Teilnehmerinnen wurden in einem 6-wöchigen Kurs trainiert und in Bezug auf ihr Selbstbewusstsein, ihre Sicherheitsmaßnahmen und ihre Ängste befragt.
Key Findings: Die Frauen, die den Selbstverteidigungskurs besucht hatten, zeigten signifikante Verbesserungen in ihrem Selbstbewusstsein, ihrer Selbstwirksamkeit und ihrem Sicherheitsverhalten. Der Kurs hatte auch positive Auswirkungen auf das Verständnis der Teilnehmerinnen für Gewalt und Opfer-Blaming.
Literatur: Smith, C. D. (2017). Impact of a self-defense course on self-esteem, self-efficacy, and victim blaming in college women. Journal of American College Health, 65(1), 32-41.
Diskussion zum Management von Angst
Das Ergebnis der vorliegenden Studien deutet darauf hin, dass Frauen, die an Selbstverteidigungskursen teilgenommen haben, von einem signifikanten Nutzen in Bezug auf die Bewältigung von Angst profitieren. Das ist eine ziemlich wichtige Erkenntnis, da sie darauf hinweist, dass solche Kurse dazu beitragen können, das Sicherheitsgefühl und das Selbstbewusstsein von Frauen zu stärken.
Jedoch ist es entscheidend anzumerken, dass Angst ein äußerst individueller Faktor ist. Die Tatsache, dass die untersuchten Frauen von den Kursen profitierten, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dies bei jedem Individuum der Fall sein wird. Menschen gehen unterschiedlich mit Angst um, was in verschiedene Faktoren, darunter persönliche Erfahrungen, psychologische Zustände und Umweltfaktoren außerhalb einer Kursteilnahme begründet ist.
Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass die Stichprobengrößen der betrachteten Studien recht begrenzt waren. Eine geringe Stichprobengröße kann die allgemeine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf eine größere Bevölkerung einschränken. Obwohl die Ergebnisse vielversprechend sind, sollten sie daher mit Vorsicht betrachtet werden bis umfangreichere Studien durchgeführt werden, um robustere Schlussfolgerungen zu ermöglichen.
Trotz dieser Einschränkungen sind die festgestellten positiven Auswirkungen auf Frauen, die Selbstverteidigungskurse besuchen, bedeutsam. Diese Kurse können eine wichtige Rolle dabei spielen, das Selbstvertrauen und die Fähigkeiten zur Selbstverteidigung zu stärken, was möglicherweise dazu beiträgt, das Sicherheitsgefühl von Frauen zu verbessern. Es ist jedoch wichtig, dass individuelle Unterschiede und die Limitationen der Studien berücksichtigt werden, um realistische Erwartungen an die potenziellen Vorteile solcher Kurse zu haben.
Effektlosigkeit
Da sowohl Ziel, wie auch Inhalte, Art der Durchführung und Testung unterschiedlich sind, überrascht es nicht, dass einige Studien keine signifikante Verbesserung im Angstmanagement, in der Widerstandsfähigkeit oder in der Fähigkeit zur Selbstverteidigung bei Frauen haben, die an solchen Kursen teilnahmen. In der Simulation von Übergriffsituationen konnte in den folgenden Studien kein einheitliches oder überzeugendes Ergebnis hinsichtlich der Wirksamkeit solcher Interventionen erzielt werden.
Diese Erkenntnisse werfen wichtige Fragen auf bezüglich der tatsächlichen Effektivität von Selbstverteidigungskursen und deren potenziellem Nutzen für Frauen in Bezug auf die Bewältigung von Gewaltlagen. Diese Studien liefern somit einen differenzierten Einblick in die Komplexität der Auswirkungen solcher Kurse und unterstreichen die Notwendigkeit, die Effektivität von Selbstverteidigungsstrategien in verschiedenen Kontexten und unter Berücksichtigung individueller Unterschiede genauer zu untersuchen.
Eine Studie aus dem Jahr 2010, die im „Journal of Interpersonal Violence“ veröffentlicht wurde, fand heraus, dass Frauen, die an Selbstverteidigungskursen teilgenommen hatten, keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu Frauen aufwiesen, die an anderen Kursen teilgenommen hatten oder gar keine Kurse besucht hatten. Die Studie umfasste 119 Frauen und stellte fest, dass der Selbstverteidigungskurs keine Auswirkungen auf das Risiko von sexuellen Übergriffen hatte.
Literatur: Banyard, V. L., Moynihan, M. M., Cares, A. C., & Warner, R. (2010). Perceived and actual effectiveness of self-defense training against sexual assault. Journal of Interpersonal Violence, 25(9), 1688-1705.
Eine weitere Studie aus dem Jahr 2018, ebenfalls im „Journal of Interpersonal Violence“ veröffentlicht, ergab, dass Frauen, die an Selbstverteidigungskursen teilnahmen, im Vergleich zu Frauen, die nicht an solchen Kursen teilnahmen, keinen signifikanten Unterschied in der Fähigkeit zeigten, sich in einer simulierten Gewaltsituation zu verteidigen. Die Studie umfasste 114 Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren.
Literatur: LaViolette, A. D., & Cantor, D. (2018). Effectiveness of a college-based sexual assault resistance program on male bystander intervention: A quasi-experimental study. Journal of Interpersonal Violence, 33(9), 1508-1533.
Eine dritte Studie aus dem Jahr 2018, die in der Zeitschrift „Aggression and Violent Behavior“ veröffentlicht wurde, fand heraus, dass die Teilnahme an Selbstverteidigungskursen keinen Einfluss auf die Einstellungen der Teilnehmerinnen gegenüber sexueller Gewalt hatte. Die Studie umfasste 82 Frauen und ergab, dass Frauen, die an einem Selbstverteidigungskurs teilgenommen hatten, nicht unbedingt positiver gegenüber der Idee eingestellt waren, sich in einer Gewaltsituation zu verteidigen.
Literatur: Whipple, E. E., Ritenour, M. A., & Amanor-Boadu, Y. (2018). Impact of a self-defense class on attitudes and beliefs about sexual assault among college women. Aggression and Violent Behavior, 39, 1-6.
Fazit
In Analyse und Vergleich der präsentierten Studien erkennen wir, dass ein direkter Transfer erlernter Selbstverteidigungsfähigkeiten in reale Gewaltsituationen keineswegs garantiert ist. Per Studiendesign ist eine klare Übertragbarkeit erlangter Kenntnisse in authentische Szenarien massiv unsicher. Die Zusammenhänge von simulierten Lagen zu tatsächlichen Gewaltsituationen sind vielschichtig und erfordern differenzierte Betrachtungen.
Trotz dieser Herausforderungen deuten klassische Interviewstudien, wie die von Caignon und Groves (1987), darauf hin, dass eine aktive Verteidigungshaltung in potenziell gefährlichen Situationen offensichtlich ein hohes Potential für Sicherheit bieten kann. Personen, die sich aktiv gegen Gewalt zur Wehr setzen, zeigen eine erhöhte Fähigkeit, Gewaltsituationen zu unterbrechen oder zu überstehen.
Darüber hinaus legen die Ergebnisse der Forschung von Brecklin und Ullman (2005) nahe, dass Personen, die vor einem Angriff eine Selbstverteidigungsausbildung absolvierten, angaben, dass ihr Widerstand die Gewalt stoppte oder unterbrach. Zusätzlich zeigten sie während eines Angriffs vermehrt Wut und weniger Angst. Die zuvor erwähnte Haltung zur Verteidigung findet also vehementer statt. Insofern kann man annehmen, dass auch ohne direkten Übertrag von Inhalten der Selbstverteidigungstrainings in konkrete Lagen die Metakompetenzen solcher Lehrveranstaltungen dazu beitragen können, sich sicherer zu verhalten und besser durchzusetzen.
Mit Rückblick auf die Motivation von Frauen, Selbstverteidigungskurse zu besuchen, berichten Fraser und Russell (2000) zudem über positive Nebeneffekte von Selbstverteidigungstrainings, wie gesteigerte Durchsetzungsfähigkeit, klare Grenzziehungen in Beziehungen und veränderte Selbstwahrnehmung als Frau. Somit ist ein direkter und vom operativen Ziel des Kurses beinahe unabhängiger Zugewinn in der Persönlichkeitsarbeit der Frauen zu vermuten.
Die Studienlage unterstützt teilweise direkt und vollumfänglich indirekt die Zweckmäßigkeit von Kursen für die Frauenselbstverteidigung. Für Selbstverteidigungstrainer ist es dabei nicht nur essenziell, hochwertige Trainingsangebote zu gestalten, sondern dabei auch auf einfache Zugänglichkeit zu achten. Hermes (2001) betont, dass das viel gesuchte Angebot von Selbstverteidigungstrainings regelmäßig dort seine Grenzen findet, wo die Teilnahme durch geografische oder logistische Erschwernisse gehemmt wird. Somit wäre ein niederschwelliges Angebot, beispielsweise durch breitgefächerte Kurse im Bildungssystem (Schule, Hochschule, Volkshochschule) oder durch einfache internetbasierte Anmeldungen und überregionale Veranstaltungen empfehlenswert.
Literatur
Banyard, V. L., Moynihan, M. M., Cares, A. C., & Warner, R. (2010). Perceived and actual effectiveness of self-defense training against sexual assault. Journal of Interpersonal Violence, 25(9), 1688-1705.
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