knockout

Tobias Brodala & Stefan Reinisch

Gepostet am 1. Februar 2024 von Tobias Brodala

The magic spot

Hast du schon mal versucht, den K.O Nerv treffen, „shaking the brain” unternommen oder dich gewundert, warum dein Gegner immer noch steht? Dann sollte dich dieser Artikel unheimlich interessieren. Ich möchte dir hier bar aller Mythen erklären, warum der Computer manchmal runterfährt und wie ein Training für Selbstverteidigung aussehen sollte, wenn wir auf diese Gründe hören. Kurz vorweggenommen: Wissenschaft macht uns hier wie fast immer etwas bescheidener.

Reality check

Im Vorfeld sollte aber eine gesundheitsförderliche Warnung stehen. Denn wenn wir an Knock Out denken, beschäftigen wir uns vor allem mit dem lebenskritischsten Organ unseres Körpers, dem Gehirn. Das verzeiht Strukturschädigungen ebenso wenig wie Versorgungsengpässe und heilt zudem richtig schlecht. Deswegen folgt nach der K.O. – Physiologie gleich noch eine dezidierte Gefahrenbetrachtung bevor es dann an die taktischen Empfehlungen geht.

It's all in the brain

Grundsätzlich besteht bei jedweder Form der Eintrübung, also vom Schwindel bis zum Schlafen immer eine direkte oder indirekte Einwirkung auf das Gehirn. Es gibt keine fremd induzierte, nicht-kritische Einleitung einer Bewusstlosigkeit [1]. Von dieser Sicherheit ausgehend und mit Fokus auf mechanische Einwirkung [2] bleiben uns zwei mögliche und auch wiederholbare Vorgänge:

Option 1: Medulla oblongata

Erfolgt ein Schlag gegen den Kopf, folgt daraus nicht nur die Erschütterung des Gehirns als vielbesagter Computer, sondern insbesondere der „Medulla oblongata“ (das verlängerte Mark oder Markhirn). Diese ist der am weitesten kaudal (hinten unten) gelegene Teil des Hirnstamms, gehört morphologisch zum Gehirn und somit zum Zentralnervensystem. Sie ist eine Steuerzentrale vieler Vitalfunktionen, wie z.B. des Blutkreislaufs und der Atmung, vieler Reflexe (Niesen, Husten, Schlucken) sowie das Brechzentrum. Ein Ausfall der Medulla oblongata führt meistens zum Tod. Ist umgekehrt das Großhirn funktionsunfähig, die Medulla oblongata dagegen intakt, ist ein körperliches Weiterleben möglich, aber ein komatöser Zustand die wahrscheinliche Folge.

Es stellt sich an dieser Stelle ein wenig die Frage, woher man das weiß. Keine Ethikkommission würde Versuche zulassen, bei denen es um das KO-Schlagen von Menschen geht. Ethik-Kommissionen sind unabhängige Gremien, die die ethischen Aspekte von Forschungsvorhaben im Bereich der Humanmedizin überprüfen und bewerten. Diese Kommissionen sollen sicherstellen, dass Forschungsvorhaben den ethischen Grundsätzen und Standards entsprechen und die Rechte, die Sicherheit und das Wohl der teilnehmenden Menschen angemessen geschützt werden. Eine Versuchsanordnung, in denen man Menschen wiederholt das Gehirn oder einzelne Hirnkomponenten erschüttert, ist aufgrund des hohen gesundheitlichen Risikos nicht mit dem Zielgedanken dieser Institution zu vereinen. Insbesondere nicht, wenn es um eine entsprechende Betrachtung zum Zwecke der Selbstverteidigung gehe.

Daher greifen wir auf eine gehirnphysiologische Forschungsarbeit aus dem Jahre 1919 zurück, bei welcher Untersuchungen an Hunden angestellt wurden. Konkret wurde dabei vermittels Sonden, die über die Vorderfläche des Schädels, beim Hund durch die Schnauze, eingeführt wurden, Druck auf verschiedene Hirnareale ausgeübt wurde. Druck auf die Medulla oblongata führte dabei alleinig zur sofortigen Bewusstlosigkeit. 

Was hat nun diese Beobachtung mit einem Knockout zu tun? Bei einem Schlag wird der Kopf je nach Wirkungsvektor initial in eben jene Richtung beschleunigt, in die der Schlag wirkt. Von der Schlagenergie müssten wir Verformungen des Schlagwerkzeugs (z.B. Faust) und des (z.B. Gesichts-) Schädels abziehen und haben damit reine Bewegungsenergie, wenn wir Reibungen (Luftwiderstand) unberücksichtigt lassen. Mit der verbleibenden Energie schlägt das Gehirn zunächst an der dem Impuls näheren Innenseite des Schädels an, genannt „Coup_Mechanismus [3]“ – denn es liegt quasi unbefestigt in einer recht flüssigen Umgebung auf der Schädelbasis.

Exkurs zu deinem Gehirn

Achtung, das Gehirn liegt natürlich nicht wirklich lose auf der Schädelbasis. Es ist von mehreren Schichten umgeben, die als Hirnhäute oder Meningen bekannt sind. Diese Meningen umfassen die Dura mater, die Arachnoidea mater und die Pia mater. Die Dura mater ist die äußerste Schicht und liegt direkt unter der inneren Oberfläche des Schädels. Sie bildet eine schützende Barriere zwischen dem Gehirn und dem Schädelknochen. Die Pia mater ist die innerste Schicht und liegt direkt auf der Oberfläche des Gehirns. Zwischen der Dura mater und der Arachnoidea mater befindet sich der Subarachnoidalraum, der mit Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit) gefüllt ist. Diese Meningen dienen dazu, das Gehirn zu schützen, es zu stützen und den Fluss der Hirnflüssigkeit zu ermöglichen. Das Gehirn selbst ist durch verschiedene Gewebestrukturen und Stränge, wie die Falx cerebri und die Tentorium cerebelli, in Position gehalten und stabilisiert. Es gibt auch zahlreiche Bindegewebsstrukturen, die das Gehirn mit der Schädelbasis verbinden und eine Fixierung des Gehirns innerhalb des Schädels gewährleisten. Dennoch können diese zahlreichen Strukturen nicht verhindern, dass das Gehirn bei plötzlicher Beschleunigung des Kopfes an die Schädeldecken stößt. Zum ungefähren Verständnis: In einem durchschnittlichen Schädel beträgt der Abstand zwischen der vorderen und hinteren Schädeldecke (Anteroposterior-Durchmesser) ungefähr 18-20 Zentimeter. Die genaue Distanz zwischen dem Gehirn und der inneren Oberfläche der Schädeldecke variiert je nach individueller Anatomie, aber im Durchschnitt liegt diese Distanz bei etwa 7 bis 8 Millimetern. Wir sprechen hier also von einer losen Lagerung lediglich in Hinblick auf die sehr kurzen zu überwindenden Distanzen.

Der Kopf wird entgegen der Darstellung in Filmen, in denen der Gegner auch schon mal in Schlagrichtung wegfliegt, leider nicht mit dem gesamten Körper verschoben, was eine sehr viel gesündere Form der Schlagempfängnis wäre. Die Halswirbelsäule, auch Zervikalwirbelsäule genannt, besteht aus sieben Wirbeln (C1 bis C7) und ermöglicht eine gewisse Beweglichkeit des Kopfes. Die Begrenzung der Bewegung in diesem Bereich wird durch Bänder, Gelenke und Muskeln kontrolliert. Leider verhindern eben diese irgendwann die unendliche Beweglichkeit des Kopfes und entschleunigen diesen recht rabiat.[4]

Wird der Kopf nun abgebremst, bewegt sich das Gehirn aufgrund der Trägheit seiner Masse noch etwas weiter und schlägt nun auf der dem Impuls gegenüberliegenden Innenseite des Schädels auf. Dieses Problem wird auch contre-coup Mechanismus genannt. Dieser zweite Aufprall ist dummerweise noch etwas härter als der erste, weil wir zwar im Moment des Schlages reflektorisch verspannen [5], nicht jedoch in der Phase des zweiten Aufpralls. Letztlich kommt es durch diesen Gegenschlageffekt zum Druck auf die Medulla oblongata und zur Bewusstlosigkeit. Somit ist der Schlag als solcher tatsächlich nur indirekt verantwortlich für die Eintrübung und wir erkennen den massiven Benefit der die Halswirbelsäule schützenden Muskulatur. Denn je höher die initiale Bremswirkung ist, desto geringer ist die weitergeführte Fahrt nach Schubumkehr, die wir ja dann nicht mehr bremsen können.

Option 2: Synkope

Eine Synkope (genauer: vasovagale oder neural vermittelte Synkope) beschreibt einen plötzlichen Bewusstseinsverlust aufgrund einer Weitstellung der Blutgefäße. Die direkte Möglichkeit, so eine Synkope auszulösen wäre eine mechanische Einwirkung  auf die Arteria Carotis lateral zum Kehkopf: also auf die dicke Ader am seitlichen Hals auf Höhe des Kehlkopfes [6]. Dort teilt sich die Halsschlagader [7] in die äußere und innere Halsschlagader [8]. Dort, am Ursprung der inneren Halsschlagader, findet sich eine Erweiterung, der Karotissinus [9]. Dort erfolgt eine Druckmessung des Blutes mittels Druckrezeptoren, die sich in der Gefäßwand des Karotissinus befinden. Wird der Blutdruck dort als zu hoch gemessen, stellt dies eine Gefahr für unser Gehirn dar und es kommt als Gegenmaßnahme zu einer Weitstellung der Gefäße [10] und zu einer Verlangsamung des Herzschlages [11]. Diesen Schutzreflex nennt man den Karotissinus-Reflex.

Fun Fact: Vielerorts hört man auch etwas zum Effekt auf den „Glomus caroticum“. Das ist zwar auch ein Druckmesser, aber in einem anderen Zusammenhang. Hier werden chemische Drücke gemessen und die haben keinerlei (sofortige) Auswirkungen auf den Kreislauf. Seine Hauptaufgabe besteht darin, auf Veränderungen im Sauerstoffgehalt zu reagieren und den Blutdruck sowie die Atmung entsprechend zu regulieren.

Der Karotissinus-Reflex kann direkt durch einen Schlag künstlich ausgelöst werden, aber auch durch einen ruckartig angezogenen Würgegriff. Alternativ wäre auch Effekt durch einen Schlag gegen den Unterkieferwinkel oder das Kinn möglich, der den Kopf sehr schnell in eine Dreh- und Kippbewegung zwingt. Dabei kann es passieren, dass der Unterkieferwinkel Druck auf den Karotissinus ausübt und der Reflex ausgelöst wird. Dasselbe ist möglich durch Druck oder Zug der Halsmuskelstränge auf den Karotissinus, wie sie beispielsweise auch bei einem Aufwärtshaken stattfinden.

Wird dieser Reflex bei nur leichter Stimulation ausgelöst, ist er krankhaft verändert und man spricht man von einem Karotissinus-Syndrom. Dieses kann vor allem bei älteren Menschen z.B. beim Rasieren auftreten, bei einem zu engen Hemdkragen oder allein beim Drehen des Kopfes.

Abgesehen von der mechanischen Auslösung kann eine Synkope auch durch starken Schmerz, Aufregung oder Panik verursacht werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der sogenannte Leberhaken. Ein harter Schlag auf die Leber aktiviert dortige Schmerzrezeptoren. Die entstehenden Schmerzsignale werden über Nervenbahnen und viszerale Afferenzen zum Gehirn übertragen. Als Reaktion auf den Schmerz kann das Gehirn den Vagusnerv übermäßig aktivieren. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um einen Schutzmechanismus. [12] Diese Aktivierung führt zu einer Vasodilatation (Erweiterung der Blutgefäße) und einer Bradykardie (Verlangsamung des Herzschlags). Der resultierende rasche Blutdruckabfall verringert die Blutzufuhr zum Gehirn, was zu vorübergehender Minderdurchblutung und schließlich zu Bewusstseinsverlust oder Ohnmacht führen kann.

Ein weiteres Beispiel ist der berühmte Stoß gegen den Solar Plexus. Der Solarplexus enthält den sogenannten Nervus phrenicus, der Signale an das Zwerchfell sendet, das die Atmung kontrolliert. Ein harter Schlag in den Solarplexus kann zu einer plötzlichen Stimulation des Nervus phrenicus führen und diese Stimulation kann dazu führen, dass das Zwerchfell kurzzeitig gelähmt wird oder dass es sich krampfartig zusammenzieht. Erneut entsteht massives Bedrohungspotential, das das Gehirn mit einer Aktivierung des Vagusnervs zu kontrollieren unternimmt. Als Nebenwirkung kann eine Synkope entstehen, wie im Falle des Leberhakens, vasovagal, also neural vermittelt.

Option 2,5: Innenohr

Hier geht es im Wesentlichen um die Entmystifizierung des berühmten Schlags auf die Kinnspitze. Die vielfach angepriesene Wirkung dieser Taktik hat nichts damit zu tun, dass dort besonders viele oder empfindliche Nerven verlaufen. Natürlich gibt es dort Nerven , aber keiner der dort anzutreffenden Nerven kann in irgendeiner Form das Bewusstsein eintrüben. Die Wirkungsweise ist eine andere. Bei einem Schlag ans Kinn überträgt sich über den Unterkiefer und das Unterkiefergelenk der Impuls auf das Schläfenbein. Teil des Schläfenbeins ist das Felsenbein (lässt sich gut hinter dem Ohr ertasten) und umgibt das Innenohr. In diesem findet sich unser Gleichgewichtsorgan. Durch einen Schlag auf das Kinn wird nun durch Weiterleitung des Impulses dieses Organ beeinträchtigt. Dieselbe Wirkweise ist dafür verantwortlich, dass durch einen Schlag auf das Ohr unser Gleichgewicht massiv gestört werden kann. Wir sprechen hier deswegen nicht von einem lupenreinen Knockout, sondern eher von einer Art Niederschlag, der auf den Verlust der Stehfähigkeit im Gleichgewicht zurückzuführen ist.

Werden durch den Schlag auf das Kinn eher ein schnelles Rotationsmoment des Kopfes oder heftige Zugkräfte auf die Halsmuskulatur ausgelöst, befinden wir uns wieder im Bereich der Synkope. Das Kinn als solches trägt also weder aufgrund seiner „weichen“ Struktur noch bezüglich der sich dort befindenden Nerven eine besondere Bedeutung für das Erreichen eines Knockouts.

Knockout isn’t a Fun Game

Durch jeden unkontrollierten Sturz zu Boden und das ungebremste Aufschlagen des Kopfes am harten Untergrund, z.B. an einem Blumentrog oder einer Gehsteigkante, kann es zu massiven Kopfverletzungen bis hin zu solchen mit Todesfolge kommen. Derartige Konsequenzen kann man als geradezu typisch für diese Form der körperlichen Auseinandersetzung ansehen. Auch hier spielt das verlängerte Rückenmark, genauer das Areal der bereits besprochenen medulla oblongata die Hauptrolle. Anders als bei der contre-coup Verletzung erfolgt hier die Druckübertragung ganz direkt und von außen. Eine Folge davon kann der bereits angesprochene Verlust vieler Vitalkompetenzen sein.

Daneben sollte sich jeder, der sich mit Schlägen zum Kopf auseinandersetzt, auch  dem sogenannten „Schädel-Hirn-Trauma“ beschäftigen.

  1. Schädelhirntrauma, 1. Grad, „Commotio Cerebri“, leichtes SHT, GCS [13] 13-15 [14]

Der Kopf wird derart beschleunigt, dass das Gehirn möglicherweise an der Schädelinnenseite anschlägt, aber nicht so fest, dass es dadurch zu Prellmarken kommt. Bewusstlosigkeit kann, muss aber nicht, auftreten, entweder akut oder später. Solange sie 10 Minuten nicht überschreitet, spricht man noch von einem leichten SHT.

  1. Schädelhirntrauma, 2. Grad, Gehirnprellung, „Contusio cerebri“, mittelschweres SHT, GCS9-12.

Das Gehirn schlägt bei der Beschleunigung des Kopfes aufgrund seiner Trägheit an der Schädelinnenseite an. Dabei entstehen Prellmarken. Falls es zu Bewusstlosigkeit kommt, dauert sie länger als 10 Minuten und kann auch hier wieder erst einige Zeit nach dem unmittelbaren Ereignis auftreten.

  1. Schädelhirntrauma, 3. Grad, Gehirnquetschung, „Compressio Cerebri“, schweres SHT, GCS 3-8.

Dabei dringt ein Gegenstand oder ein Knochenteil in das Gehirn ein, wodurch es zu einer Quetschung kommt. Selbst das muss nicht zwingend zu einer Bewusstlosigkeit führen, falls doch, dauert diese aber über 60 Minuten.

Alle Formen des Schädel-Hirn-Traumas sind massiv gefährlich. Und dennoch ist jedwede Art von Hirntrauma, also eine ganz konkrete Verletzung des Gehirn, nicht ursächlich für das Eintreten von Bewusstlosigkeit. Das Hirn als solche also einfach zu verletzen darf keine Methode sein, um einen Knockout herbeizuführen.

Umgekehrt sollte aber nach einem entsprechenden Ereignis wie einem Auffahrunfall, einem heftigen Schlag gegen den Kopf usw. eine medizinische Untersuchung folgen. Diese wird sich zur Abschätzung der Bewusstseinsstörung an der sog. Glasgow-Koma-Skala orientieren (Augenreaktion, verbale und motorische Reaktionen) und darauf aufbauend erfolgt die Entscheidung, ob der Schädel und das Gehirn näher untersucht werden mittels bildgebender Verfahren [15].

Man kennt diverse Berichte über Boxer, die eine gute Zeit lang nach einem Kampf noch verstorben sind. In diesen Fällen kann man davon ausgehen, dass ein SHT vorgelegen hat. Eine wesentliche Gefahr im Zusammenhang mit einem SHT besteht darin, dass es zu Schwellungen und/oder Blutungen innerhalb des Schädels kommt. Besagte Vorgänge fordern Raum, wo wenig Raum ist, wodurch der Druck innerhalb des Schädels und auch der Druck auf das Gehirn steigt.

Dieser erhöhte Druck kann die Blutzufuhr zum Gehirn beeinträchtigen und das Gewebe zusätzlich schädigen. In schweren Fällen kann der erhöhte Druck den normalen Blutfluss im Gehirn stoppen, was zu Sauerstoffmangel und irreversiblen Schäden führen kann.

Als Symptome eines erhöhten Hirndrucks erwarten wir dann typischerweise jedwede Form von Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen, Bewusstseinsverlust sowie diverse, teilweise heftige neurologische Defizite.

2. Exkurs zu deinen Körperwaffen

Interessant ist dabei, dass je härter die auftreffende Fläche (Faust, Ellbogen), desto größer zwar die Zerstörung von Strukturen im unmittelbaren Ziel (Knochenbrüche etc.), aber desto geringer ist die Chance (oder die Gefahr) eines Knockouts. Der Grund dafür liegt darin, dass sich dazu der Impuls des Schlages fortpflanzen müsste bis zum Innenohr oder zur Medulla oblongata. Ist am Weg dorthin aber eine Struktur überlastet, bricht sie und die investierte kinetische Energie wird in Verformung übergeführt. Aus diesem Grund ist auch ein Kampf mit dick gepolsterten Handschuhen eine größere Belastung für das Gehirn als ein Kampf mit dünnen Handschuhen oder ohne Handschutz.

Bei einem Knockout durch Auslösung des Karotissinus-Reflexes kommt eine weitere Gefahr hinzu: Im Bereich der Halsschlagadern können sich bei älteren Menschen Ablagerungen (sog. Plaques) anlagern und führen dort zu einer Verengung [16]. Löst sich eine solche Ablagerung – z.B. durch einen Schlag –, können Blutgerinnsel entstehen und die ohnehin verengte Stelle weiter verschließen. Oder aber sie werden fortgeschwemmt und können an anderer Stelle zu einem Gefäßverschluss führen. Ein Schlaganfall kann die Folge sein.

Knock(ed)out Immidiate Action

Sobald sich die betroffene, aber ansonsten gesunde Person am Boden in einer waagrechten Position befindet, kommt sie von selbst wieder zu sich, wenn das Blut zurück ins Gehirn strömt. Das lässt sich unterstützen durch eine Schocklagerung (Beine hochlagern). Das in gewissen Kreisen demonstrierte Hochzwingen des Bewusstlosen in eine sitzende Position und anschließendem Abklopfen verschiedener Körperteile ist nicht zu empfehlen. Wenn die Betroffenen das Bewusstsein wiedererlangen, dann nicht wegen, sondern trotz dieser Maßnahmen.

Dagegen ist bei einem Schädel-Hirn-Trauma die oben erwähnte Schocklagerung nicht zu empfehlen, da sich dadurch die ohnehin vorhandene Gefahr des Druckanstiegs im Kopf weiter erhöhen würde. Also sollte im Gegenteil der Kopf höher als der Rest des Körpers gelagert werden. 

Im Rahmen der Selbstverteidigung daher folgendes Angebot für den Umgang mit heftig niedergeschlagenen Gegenübern oder KO gegangenen Mitstreitern:

0. Notruf absetzen, aber das weiß der geneigte Leser schon und das gehört auch eigentlich nicht ins spezifische Management eines Niederschlags.

  1. Nicht bewegen, sofern nicht unbedingt erforderlich: Vermeiden, die verletzte Person zu bewegen, es sei denn, sie befindet sich in unmittelbarer Gefahr, also die Lage ist nicht final dominiert. Im Allgemeinen können Bewegungen bestehende Verletzungen verschlimmern. Im Gehirn, an der Wirbelsäule, überall. Bewegung nur, wenn muss.

  2. In stabile Seitenlage bringen (wenn keine Verletzung der Wirbelsäule vermutet wird): Falls die Person nicht bei Bewusstsein ist und keine Anzeichen einer Wirbelsäulenverletzung vorliegen, kann die stabile Seitenlage angewendet werden. Dabei wird die Person auf die Seite gelegt, um die Atemwege freizumachen und das Risiko von Erstickung zu verringern. Bewusstlosigkeit birgt eben leider auch diese Gefahr in Rückenlage. Vom geneigten Leser ist keine umfassende Wirbelsäulendiagnostik zu erwarten. Hier reicht es wirklich, auf komische Geräusche und Fehlstellungen, durchdrückende Körperteile oder von der Mechanik der Einwirkung bzw. des Niedergangs zu erwartende Anzeichen zu achten. 

  3. Den Kopf stabilisieren: Wenn es Anzeichen einer Verletzung der Wirbelsäule oder des Kopfes gibt, sollte der Kopf stabilisiert werden, um weitere Schäden zu verhindern. Das kann durch vorsichtiges Halten des Kopfes in einer neutralen Position erreicht werden, ohne jedoch den Kopf zu bewegen.

  4. Warten auf medizinische Hilfe: Nach einem schweren Schlag ist es wichtig, so schnell wie möglich professionelle medizinische Hilfe zu holen. Die genaue Lagerung kann von der Art der Verletzung abhängen, und medizinisches Fachpersonal ist am besten in der Lage, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Nur müssen die natürlich da sein. Und deswegen hast du den Notruf schon ganz am Anfang gerufen, vgl. Punkt 0.

Knockout Immediate Action

Suche nicht nach dem Knockout. Also quasi nach dem Muster „Ich muss nur dorthin schlagen, und alles ist vorbei.“ Wie jemand auf unsere Aktionen reagiert, ist allein dessen Sache. Es kann klappen, muss aber nicht. Menschen haben schon heftigeres weggesteckt. Unterm Strich solltest du dich nicht darauf verlassen oder damit planen, dein Gegenüber bewusstlos schlagen zu können. Die Mechanismen dafür sind wie angeführt recht komplex und verschiedene Strukturen können sehr individuell verhindern, dass ein Knockout wirklich eintritt. Gleichzeitig besteht beim zwanghaften Einwirken auf den Kopf des Gegenübers eine enorm hohe Gefahr der (permanenten) Verletzung. Nicht zuletzt rechtlich kann das ein wirkliches Problem für dich werden.

Dennoch empfehle ich für die Selbstverteidigung das Schlagen zum Kopf, und das hat folgenden Grund: Unser Gegenüber will nicht verletzt werden und der Körper weiß intuitiv, dass der Kopf geschützt werden sollte, um Verletzungen zu vermeiden. Im Wesentlichen dreht sich das ganze S.P.E.A.R. System um reaktive Momente, die auf dieses Bestreben zurückzuführen sind. Das gilt quasi auch für dein Gegenüber. Im Versuch des Körpers, unmittelbarem Schaden und ggf. auf Bewusstseinsebene Schmerz zu entgehen, entstehen auf dessen Seite ungünstige athletische Positionen. Diese ermöglichen eigenen Handlungsspielraum auf  kämpferischer oder allgemein taktischer Ebene (zum Beispiel für die Flucht). Schlagen zum Kopf verschafft dir also Vorteilsmomente, die du nutzen solltest.

Für das Training bedeutet das ganz konkret, dass du dich verhalten solltest wie im Sparring: Eine Maßnahme, zum Beispiel ein Schlag, sollte nicht mit der Annahme enden, dass danach alles vorbei ist und dein Gegenüber friedlich schläft. Bleibe auch nach einer guten Kombination wachsam, treu nach dem Motto:

Sei immer etwas länger nervös als dein Gegenüber.

Erinnere dich: Hans Gruber war nicht der letzte Gegner in Stirb Langsam, sondern Karl Vreski, das blonde langhaarige Stehaufmännchen.  Entsprechend solltest auch du nach einem erfolgreichen Niederschlag nachhalten, das Gegenüber nicht aus den Augen lassen und auch nicht vorschnell die Region nach neuen Gefahren absuchen. Verweile fokussiert auf dein konkretes Problem und verfahre weiterhin gemäß Notwendigkeit. 

Aber wer weiß. Vielleicht hast auch du irgendwann mal Glück und triffst genau im richtigen Moment genau die richtige Stelle. Nur ist die eben nicht am Kinn…

[1] Auf bei anästhetischen Maßnahmen, z.B. während medizinisch notwendigen Operationen, erfolgt eine subsequente Kontrolle der Vitalfunktionen in Echtzeit und ein Team aus Spezialisten steht bereit für alle denkbaren Probleme.

[2] Denkbar, aber hier außer Acht gelassen, sind zum Beispiel medikamentöse Induktionen.

[3] Coup (franz.) = Schlag

[4] Es ist wichtig zu beachten, dass die Verletzungen nicht nur auf das Gehirn beschränkt sein können, sondern auch die Strukturen der Halswirbelsäule, wie Bandscheiben, Gelenke und Bänder, betreffen können. Rückenmarksverletzungen oder andere Verletzungen der Halswirbelsäule sind ebenfalls möglich und können schwerwiegende Folgen haben. Daher ist die Begrenzung der rückwärtigen Bewegung des Kopfes ein komplexer Prozess, der von verschiedenen anatomischen und biomechanischen Faktoren abhängt.

[5] Bei einem frontalen Schlag ins Gesicht werden reflektorisch Muskeln im Hals- und Nackenbereich angespannt, um den Kopf zu schützen. Der Sternocleidomastoideus kann aktiviert werden, um den Kopf abzuwenden, der Trapezius verspannt sich, um Stabilität zu bieten, und Muskeln entlang der Halswirbelsäule reagieren, um den Kopf zu stabilisieren. Auch die mimische Muskulatur im Gesicht kann vorübergehend angespannt sein. Diese Reaktionen sind Teil des Schutzreflexes, der darauf abzielt, Verletzungen im Gesichts- und Kopfbereich zu minimieren.

[6] Wer sich das noch nicht vorstellen kann, sucht auf YouTube mal Fak Sao und findet einen KungFu – Schlag, der üblicherweise genau dorthin gerichtet ist.

[7] Arteria carotis

[8] Arteria carotis externa und Arteria carotis interna

[9] Sinus caroticus

[10] Vasodilatation

[11] Bradykardie

[12] Der Nervus Vagus ist der zehnte Hirnnerv. .Ziel seiner Aktivierung sind unter anderem Schutzreaktionen, die den Blutdruck senken und die Blutzufuhr zum schmerzenden Bereich verringern können. Letztlich beugt das dem Ausbluten vor, weil das Gehirn starken regionalen Schmerz als potentiell lebensgefährliche Systemstörung interpretiert.

[13] Glasgow Coma Scale (GCS) ist Methode zur Bewertung des Bewusstseinszustands eines Patienten nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Sie bewertet drei Hauptkategorien: Augenöffnung, verbale Reaktion und motorische Reaktion. Der Gesamtpunktwert reicht von 3 (tiefste Bewusstlosigkeit) bis 15 (volles Bewusstsein).

[14] Neben der Glasgow Coma Scale (GCS) zur Bewertung von Schädel-Hirn-Trauma gibt es auch andere Bewertungsinstrumente wie die Abbreviated Injury Scale (AIS), die die Schwere von Verletzungen auf einer Skala von 1 bis 6 einschätzt. Der Injury Severity Score (ISS) integriert AIS-Werte für verschiedene Körperregionen und gibt einen Gesamtscore an. Der Trauma and Injury Severity Score (TRISS) verwendet GCS, systolischen Blutdruck, Alter und Verletzungsmuster, um die Überlebenswahrscheinlichkeit nach einem Trauma zu berechnen. Zusätzlich gibt es spezifische Skalen wie die Rancho Los Amigos Scale für Rehabilitation, die King’s Outcome Scale for Childhood Head Injury für kindliche Kopfverletzungen und die Post Traumatic Amnesia (PTA) Scale zur Messung der Dauer der posttraumatischen Amnesie nach Kopfverletzungen. Diese Instrumente werden oft kombiniert, um eine umfassendere Beurteilung von Schädel-Hirn-Traumata zu ermöglichen.

[15] Bei einem unklaren Schädel-Hirn-Trauma kommen verschiedene bildgebende Verfahren zum Einsatz, um genaue Informationen über mögliche Verletzungen oder Schäden zu erhalten. Die Computertomographie (CT) ist ein häufig verwendetes Verfahren, das detaillierte Bilder des Gehirns und der Schädelknochen liefert, um Blutungen, Schwellungen oder Frakturen zu identifizieren. Die Magnetresonanztomographie (MRT) bietet detailreiche Bilder der Weichteile und ist besonders nützlich bei der Identifizierung von Verletzungen wie axonaler Schädigung oder kleineren Hirnverletzungen. Röntgenaufnahmen des Schädels werden eingesetzt, um Schädelbrüche oder Veränderungen der Knochenstruktur zu untersuchen. Die zerebrale Angiographie visualisiert die Blutgefäße des Gehirns, insbesondere bei Verdacht auf Blutungen oder vaskuläre Verletzungen. Nuklearmedizinische Untersuchungen wie SPECT oder PET können zur Bewertung von Hirndurchblutung und Stoffwechsel dienen. Die Wahl des geeigneten bildgebenden Verfahrens hängt von der klinischen Einschätzung durch den behandelnden Arzt ab, wobei auch andere diagnostische Maßnahmen und die klinische Beurteilung berücksichtigt werden müssen.

 

[16] Carotisstenose

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