Mindset RELOADED
Tobias Brodala
Gepostet am 3. September 2024 von Tobias Brodala
Der vorliegende Artikel eines Krav Franchises aus Köln behandelt verschiedene psychologische Konzepte und deren Anwendung im Kontext von Krav Maga. Die Absicht hinter dieser Veröffentlichung ist eine lobenswerte: Empowerment. Opfer sollen zum persönlichen Wachstum ermutigt werden, um letztlich weniger Opfer zu sein. Das ist ein ungemein wertvoller Schritt, nur darf der niemals der erste sein. Was ich damit genau meine, soll diese kritische Betrachtung erklären.
Psychologie nur eine Perspektive
Ich erkenne einige grundlegende Missverständnisse und Verwirrungen, insbesondere bei der Interpretation und Anwendung von Theorien wie Priming, sowie in der Darstellung von Mindset- und Verhaltensveränderungen. Hier folgt deswegen eine detaillierte Bewertung aus einer psychologischen Perspektive.
Achtung: Das soll die Botschaft des Textes nicht verändern, sondern nur ihren Verständniskontext. Denn natürlich ist Psychologie nicht die einzige oder allmächtige Wissenschaft, sondern ebenso wie andere Disziplinen lediglich ein Werkzeug für mehr Verständnis. Das ist damit auch ausdrücklich meine Absicht. Wir sind Kollegen und so können wir uns gegenseitig bereichern durch unsere jeweiligen Perspektiven. Es folgt die der Psychologie.
Priming ist immer ne knappe Kiste
Initial verwechselt oder vereinfacht der Artikel das Konzept des Primings, indem er es mit der nachhaltigen Veränderung eines Mindsets gleichsetzt. Priming bezieht sich auf die kurzfristige Aktivierung von Assoziationen in unserem Gedächtnis, die dann unser Verhalten beeinflussen können. Ein klassisches Beispiel ist das im Text erwähnte Experiment, bei dem Menschen, die an alterstypische Begriffe erinnert wurden, sich langsamer bewegten. Dies zeigt, dass unser Verhalten durch subtile Hinweise beeinflusst werden kann, aber diese Effekte sind oft temporär und nicht dasselbe wie das systematische Training eines dauerhaften Mindsets.
Priming ist tatsächlich ein sehr bekanntes und gut erforschtes Phänomen in der kognitiven Psychologie. Dabei beeinflusst die Exposition gegenüber einem Reiz die Reaktion auf einen nachfolgenden Reiz, oft ohne dass sich die Person dieser Beeinflussung bewusst ist. Diese Effekte sind in der Regel kurzfristig und situativ. Eine bekannte Studie, die oft zitiert wird, ist die von Bargh et al. (1996), die zeigt, wie subtile, unbewusste Hinweise (z. B. Wörter, die mit dem Alter assoziiert werden) das Verhalten (z. B. Gehgeschwindigkeit) beeinflussen können.
Denken ist cool, aber nicht dasselbe wie Handeln
Der Artikel suggeriert, dass das Denken allein ausreicht, um ein bestimmtes Verhalten oder Ergebnis zu erzielen, wie es Napoleon Hill behauptet: „You become what you think about most of the time.“ Diese Aussage ist in ihrer Einfachheit problematisch. Die psychologische Forschung zeigt, dass Denken und Visualisieren zwar eine Rolle spielen, aber ohne Handlungen und spezifisches Training führt reines Denken selten zu signifikanten Veränderungen. Ein nachhaltiges Mindset, besonders in herausfordernden Situationen wie einer Selbstverteidigungslage, erfordert mehr als nur Gedanken; es erfordert spezifisches Training, körperliche Übung und Erfahrungslernen.
Während Gedanken und Visualisierung eine Rolle in der Vorbereitung auf Handlungen spielen können (z. B. durch mentales Training), zeigt die Forschung, dass tatsächliche Verhaltensänderungen in der Regel durch konkretes Handeln, Übung und Erfahrung unterstützt werden müssen. Studien zum mentalen Training, wie die von Driskell, Copper und Moran (1994), zeigen, dass mentales Training effektiv sein kann, aber es ist am effektivsten in Kombination mit physischem Training.
Bewusst/unbewusst - wo liegt der Unterschied?
Der Artikel erwähnt korrekt, dass sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse unser Verhalten beeinflussen. Jedoch werden diese Prozesse im Text nicht klar genug differenziert, was zu Verwirrung führen kann. Zum Beispiel werden die Effekte von Werbung auf das Essverhalten und die Auswirkungen von Körpererlebnissen (wie das Halten eines warmen Getränks) in einen Topf geworfen, obwohl sie auf sehr unterschiedlichen psychologischen Mechanismen basieren.
Die Forschung zeigt, dass unser Verhalten sowohl durch bewusste Entscheidungen als auch durch unbewusste Prozesse beeinflusst wird. Ein Beispiel dafür ist die Forschung zur impliziten Kognition, die sich mit unbewussten Einflüssen auf Gedanken und Verhalten befasst. Greenwald und Banaji (1995) bieten einen Überblick über die implizite Kognition und deren Auswirkungen auf das Verhalten.
Jetzt müssen wir echt was tun!
Der Versuch, die Konzepte von Priming und Mindset-Training auf Krav Maga zu übertragen, ist interessant, aber nicht ganz schlüssig. Zwar kann das regelmäßige Training in Krav Maga das Selbstbewusstsein stärken und eine mentale Stärke entwickeln, jedoch führt die einfache Auseinandersetzung mit bestimmten Gedanken nicht automatisch zu einem „Siegerdenken“. Der Artikel vermischt hier den Effekt von physischem Training und mentalem Training, ohne die Notwendigkeit klarzustellen, dass nachhaltige mentale Stärke durch wiederholte und bewusste Praxis entsteht, nicht durch bloße Gedanken.
Das Konzept, dass körperliches Training das Selbstbewusstsein und das Mindset stärken kann, ist gut belegt. Jedoch erfordert die Entwicklung eines „Siegerdenkens“ mehr als nur mentale Auseinandersetzung; es erfordert wiederholte Praxis und Erfahrungslernen. Banduras Theorie der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1997) zeigt, dass die Überzeugung in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern, stark durch wiederholte Erfolgserlebnisse und eben nicht nur und schon gar nicht vor allem durch Gedanken geprägt ist.
Generell Einzelfälle
Der Artikel neigt zu Generalisierungen und Übertreibungen, z. B. dass man „alles erreichen kann, was man will“, wenn man nur entsprechend denkt. Diese Aussagen ignorieren die Komplexität menschlicher Psychologie und die vielen Faktoren, die Verhalten und Erfolg beeinflussen. Psychologische Forschung zeigt, dass eine Vielzahl von Faktoren wie Motivation, Ressourcen, Unterstützungssysteme und realistische Zielsetzungen wesentlich sind, um tatsächliche Veränderungen zu bewirken.
Die Vorstellung, dass man „alles erreichen kann, was man will“, wenn man nur daran glaubt, ist eine Übervereinfachung. Jahrzehnte lange Forschungsarbeit in den Bereichen Motivation und Zielerreichung zeigen, dass viele Faktoren, wie z. B. die Qualität der Ziele, die Ressourcen und die soziale Unterstützung, eine Rolle spielen (Locke & Latham, 2002). Selbstwirksamkeit, realistische Zielsetzung und Handlungsplanung sind entscheidend für den Erfolg.
Was nun anstellen mit dem Artikel?
Also der Text enthält einige korrekte und interessante Punkte, aber er zeigt auch erhebliche Schwächen in der Anwendung psychologischer Konzepte. Besonders problematisch ist die Vermischung von kurzfristigen Priming-Effekten mit der Entwicklung eines nachhaltigen Mindsets, sowie die Überbetonung des Denkens auf Kosten des tatsächlichen Tuns. Für eine fachlich korrekte Darstellung wäre es notwendig, klarer zwischen kurzfristigen, unbewussten Einflüssen auf das Verhalten und den langwierigen Prozessen, die zur Entwicklung eines stabilen Mindsets führen, zu unterscheiden. Außerdem wäre es wichtig, die Rolle von tatsächlichem, körperlichem Training und wiederholter Praxis hervorzuheben, um nachhaltige Veränderungen im Denken und Verhalten zu erreichen.
Aber die Entwicklung eines proaktiven Mindsets und positiver Gedanken, wie im Artikel beschrieben, ist zweifellos ein wertvoller Schritt auf dem Weg zu persönlicher Stärke und Selbstbewusstsein. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese mentale Vorbereitung am besten als ein zweiter Schritt betrachtet werden sollte. Zunächst muss solides Training oder eine sinnvolle Exposition gegenüber realen Herausforderungen erfolgen. Diese Erfahrungen legen das Fundament, auf dem ein starkes, widerstandsfähiges Mindset aufgebaut werden kann. Gedanken und Visualisierung können diese Grundlage dann weiter stärken und festigen. Wenn mentale und physische Vorbereitung Hand in Hand gehen, ist es möglich, nachhaltige und tiefgreifende Veränderungen zu erzielen. Und für das Training selbst fällt uns dann sicher auch ein sinnvoller Gebrauch für effektive Wahrnehmungsmanipulatoren ein… ähem… also Priming:
- Wahrnehmungslenker
- Aufmerksamkeitsfokus
- Mentale Vorbereitung
- Gezielte Wahrnehmungssteuerung
Wenn dich das so richtig, richtig interessiert, dann guck doch mal hier rein.
Literatur
Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. W.H. Freeman.
Bargh, J. A., Chen, M., & Burrows, L. (1996). Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and stereotype activation on action. Journal of Personality and Social Psychology, 71(2), 230-244. https://doi.org/10.1037/0022-3514.71.2.230
Driskell, J. E., Copper, C., & Moran, A. (1994). Does mental practice enhance performance? Journal of Applied Psychology, 79(4), 481-492. https://doi.org/10.1037/0021-9010.79.4.481
Greenwald, A. G., & Banaji, M. R. (1995). Implicit social cognition: Attitudes, self-esteem, and stereotypes. Psychological Review, 102(1), 4-27. https://doi.org/10.1037/0033-295X.102.1.4
Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation: A 35-year odyssey. American Psychologist, 57(9), 705-717. https://doi.org/10.1037/0003-066X.57.9.705