Kernspecht, K. R. (2006). BlitzDefence: Angriff ist die beste Verteidigung. EWTO-Verlag.
Der zweite Teil einer spannenden Trilogie aus dem ETWO Museum behandelt einen deutlich pragmatischen Ansatz zur Selbstverteidigung. Anfang der 2000er Jahre sollte Blitzdefence die modernen Schülergrade im WingTsun bereichern und die Kampfkunst relevanter für den Selbstschutz machen. Das ist meine persönliche Bewertung. Freilich würde man aus sich heraus auch die Kampfkunst als großartige SV Disziplin verkaufen wollen. Nur ist Wollen im Fall der Europäischen WingTsun Organisation auch fast immer Können, aber nicht notwendigerweise Sollen. Darum soll es hier gehen – erneut kaum mit dem Anspruch eine Kaufentscheidung wirklich zu fazilitieren.
Wir haben etabliert, dass Kernspecht eine prägende Figur des europäischen WingTsun ist und mit Büchern wie Vom Zweikampf und BlitzDefence die Kampfkunst- und Selbstverteidigungsszene maßgeblich beeinflusst hat. Vom Zweikampf erhielt gemischte Kritiken, besonders da es philosophisch und vordergründig analytisch war, jedoch weniger die praktische Anwendung fokussierte. Sein späteres Werk, BlitzDefence, positioniert sich stärker als praxisorientierte Anleitung zur Selbstverteidigung und richtet sich laut Verlag an Personen, die sich in gefährlichen Situationen verteidigen müssen. Der Übergang von WingTsun zur Selbstverteidigung holpert dabei ordentlich, da WingTsun historisch eine Kampfkunst ist und die Integration situativer Selbstverteidigungselemente als Versuch gesehen werden könnte, den klassischen Ansatz für moderne Bedürfnisse anzupassen. Die Methoden in BlitzDefence zielen explizit und singulär darauf ab, sich an realen Gewaltlagen zu orientieren.
Das gelingt durch die konsequente Annahme des Ritualkampfes als vorherrschender Gewaltform, auf die sich Kernspechts Empfehlungen primär beziehen. Man sollte an dieser These zweifeln und darauf verweisen, dass sie möglicherweise stark von Kernspechts eigenem Hintergrund und Milieu geprägt sein könnte, jedoch nur bedingt allgemeingültig ist. Diese Fixierung auf den Ritualkampf reduziert Gewaltformen auf eine starre Struktur und lässt die dynamische Natur realer Gewaltakte weitgehend außer Acht. Tatsächlich finden übrigens auch Ritualkämpfe eher dynamisch statt und sind durch fließende Distanzänderungen geprägt – eine Tatsache, die in Kernspechts Ansatz vergleichsweise wenig Beachtung findet. In der Praxis kann diese Beschränkung problematisch sein, weil sie die reale Komplexität von Gewalt und das nichtlineare Verhalten in Konfliktsituationen ignoriert.
Kernspecht führt in BlitzDefence sogenannte „Blitze“ als zentrale Verteidigungsstrategien ein. Diese basieren auf geometrischen Positionen, die es dem Verteidiger ermöglichen sollen, sich gegenüber dem Angreifer optimal zu positionieren und von dort aus präemptiv zu wirken. Ich weise bescheiden darauf hin, dass Gewaltverhalten weitaus komplexer ist und auch mit der Verwendung enthropischer Berechnungen nicht auf eine Hand voll Positionsmatrizen reduziert werden kann. In einem schnellen und aggressiven Konflikt wird das Fokussieren auf bestimmte Positionen eher hinderlich als hilfreich sein, da der Verteidiger auf der Suche nach der „richtigen“ Körperposition wertvolle Kapazitäten einbüßt. In diese Perspektive sollte außerdem die Wirksamkeit der angebotenen Schläge, die als „Blitze“ bezeichnet werden und den Gegner schnell außer Gefecht setzen sollen, eingerechnet werden. Die Vorstellung, dass ein Schlag den Angreifer unbedingt K.O. setzen wird, haben wir hier ausufernd betrachtet. Zusammengefasst ist das im Ernstfall meist unrealistisch und führt regelmäßig zu einer verzerrten Erwartungshaltung.
In Bezug auf pragmatische psychologischen Zugänge stellt Kernspecht einen Ansatz vor, der sogenannte „Ankerwörter“ mit bestimmten Gefühlen und Handlungsaufträgen kombiniert, um eine konditionierte Reaktion in Stresssituationen zu ermöglichen. Dieser Ansatz, obwohl auf den ersten Blick vielversprechend, ist letztlich übermäßig vereinfacht und wissenschaftlich exakt fragwürdig. Die Kombination aus einem Wort, das über eine Handlung mit einem Gefühl assoziiert werden soll, stellt keine fundierte Grundlage für effektives Angstmanagement dar, sondern eher eine verknappte Form der klassischen Konditionierung ohne nachhaltigen Effekt in einer konkreten und dynamischen Bedrohungslage. Für ein effektives Stress- und Angstmanagement wäre ein vertiefter, langfristiger Ansatz notwendig, der in BlitzDefence jedoch fehlt. Kernspecht geht zwar auch darüber hinaus auf mentale Voraussetzungen ein, bleibt dort jedoch an der Oberfläche und bietet kaum konkrete Maßnahmen an, die Anwender nutzen könnten, um sich mental auf reale Gefahren vorzubereiten.
Insgesamt fällt auf, dass das Buch einen recht wackeligen Balanceakt zwischen Ratgeber und werblicher Schrift darstellt. Den Schreibstil möchte ich als gefällig bis ansprechend und auf diesem Weg ins Selbstherrliche driftend beschreiben. Diese Vereinigung erweckt den Anschein, dass die Publikation neben dem Informationsgewinn auch der Bewerbung des WingTsun-Systems dient. Die leichte Lesbarkeit muss unbedingt als Vorteil gesehen werden, doch die fehlende Tiefgründigkeit und die starken Marketingelemente lassen den sachorientierten Leser bisweilen kritisch zurück.
Für Interessierte an Selbstverteidigung und WingTsun bleibt BlitzDefence ein spannender, aber auch kontroverser Einstieg, der viele Anstöße bietet, jedoch eine reflektierte Auseinandersetzung verlangt. Wer fundierte Selbstverteidigungstechniken erwartet, sollte das Werk als Teil eines größeren Systems betrachten und die beschränkten Anwendungsbereiche berücksichtigen.
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