De Becker, G., Taylor, T., & Marquart, J. (2008). Just two seconds: Using time and space to defeat assassins and other adversaries. Gavin de Becker Center.
Ich habe stark mit dem Titel sympathisiert, weil ich selber mal eine Seminarreihe veranstaltet habe, die sich „Nur zwei Sekunden“ genannt hat. Das waren insgesamt vier Seminare zwischen Dezember 2011 und August 2013, ganz exklusiv für Mitglieder des Tactical Forums. Mir ging es dabei darum, den Mitgliedern dieser Interessengruppe erlebbar zu machen, dass es in den ersten Sekunden einer Gewaltlage um etwas anderes geht als Waffen. Das könnte, so dachte ich, ein verbindender Gedanke zu Gavin de Beckers Buch sein.
„Just Two Seconds“ bietet einen tiefen Einblick in ausgewählte Momente des Personenschutzes. Es analysiert, wie wenige Sekunden über Leben und Tod entscheiden können. Wer sich für die Sicherheit von Einzelpersonen oder prominenten Persönlichkeiten interessiert, findet hier ein umfangreiches Werk, das Ereignisse vergangener Attentate minutiös aufschlüsselt und dabei mehr als nur Anekdoten erzählt. Es geht um die Mechanismen, die in den entscheidenden Sekunden vor und während eines Angriffs greifen, und de Beckers Meinung dazu, wie Personenschützer in genau diesen Momenten handeln müssen. Das zentrale Thema des Buches ist die präventive Sicherheit: Es werden einerseits vergangene Attentatsversuche analysiert und auch auch Methoden dargelegt, wie man zukünftige Angriffe abwehren kann.
Ein besonders spannendes Konzept, das immer wieder herausgestellt wird, ist der „Moment of Commitment“ – der Augenblick, in dem der Angreifer sich unwiderruflich für seine Tat entscheide. In diesem Moment habe der Schützer eine reale Chance, den Angriff zu verhindern, denn ab da laufe die Zeit zugunsten der Verteidigung. Der „Moment of Recognition“, in dem der Schützer erkennt, was geschieht, sei hier der Schlüssel, um in diesen Sekunden effektiv zu reagieren. Die Fähigkeit, in Stresssituationen einen klaren Kopf zu bewahren und schnell zu handeln, sei hier essenziell, und das Buch widmet sich konsequent ausgiebig dieser mentalen Vorbereitung.
Auffallend ist der Fokus auf die mentale Komponente der Verteidigung, was das Buch von manch anderen Handbüchern für Sicherheitsberufe unterscheidet. Während sich vermutlich die allermeisten schwerpunktmäßig auf körperliche Techniken oder den Einsatz von Waffen konzentrieren, geht de Becker einen anderen Weg und unterstreicht die Bedeutung der richtigen Wahrnehmung und Entscheidungsfindung in stressreichen Situationen. Diese Erkenntnis untermauert er mit Konstrukten wie dem OODA-Loop-Modell – einem Konzept, das beschreibt, wie wichtig Ordnungsprozesse im Zusammenspiel mit dem eigentlichen Handeln sind. Diese Mentalarbeit wird im Buch als entscheidender Faktor dargestellt, um Angriffe effektiv abwehren zu können.
Das Lektüreerlebnis ist dabei nicht das eines trockenen Fachbuches, sondern erfährt eine illustrierende Anreicherung durch Beispiele aus der Praxis. So erfährt man etwa, dass Charles de Gaulle 31 Attentatsversuche überlebt hat oder dass der Attentäter, der George Wallace erschoss, ursprünglich Richard Nixon ins Visier genommen hatte, aber wegen der starken Sicherheitsvorkehrungen darauf verzichtete. Solche Beispiele sollen aufzeigen, wie der Zufall und auch Glück eine Rolle spielen können, aber auch, wie professionelle Vorbereitung und Wachsamkeit entscheidend sein können.
De Becker bedient bisweilen ein paar umgemünzte Standards wie „Untersuchungen“, die zeigen, dass ein Angreifer, der sich 25 Fuß von seinem Opfer entfernt befindet, nahezu keine Chance habe, erfolgreich zu sein. Andererseits sei die Nähe des Schützers zum Angreifer – besonders wenn dieser innerhalb von sieben Fuß sei – entscheidend für den Erfolg der Verteidigung. An diesen Stellen erlebt der geneigte und vorgebildete Leser entweder die vom Autor beabsichtigte Bestätigung seines Wissens oder auch die einsatztaktische Eindimensionalität der Sicherheitsautoren aus den 90ern.
Der Leser darf entscheiden, ob es die redundanten Taktikaufblähungen oder die detaillierten Lagedarstellungen sind, die dieses Buch haben ordentlich anwachsen lassen: Rund 400 Seiten wird für Viele wohl schlichtweg zu umfangreich sein. Die Art der Detaillierung von Berichten über Attentate können zusätzlich ermüdend wirken, besonders wenn der Leser eher an praktischen Ratschlägen als an historischer Analyse interessiert ist. Trotzdem bietet das Buch besonders für Sicherheitsdienstleister oder solche, die es werden wollen, unschätzbaren Wert. Es geht über das hinaus, was man in üblichen Handbüchern findet, und gibt Einblicke in die Psyche und Motivation von Angreifern und Verteidigern.
Für solche, die sich für die Mechanismen von Attentaten und Schutzmaßnahmen interessieren, ist „Just Two Seconds“ ein lohnenswertes Buch. Es liefert manche praxisnahe Tipps für den Personenschutz und auch interessante, wenn auch teilweise sehr spezifische, Hintergrundinformationen. Wer bereit ist, sich durch die teils langen Ausführungen zu arbeiten und zwischen 40 und 65 Euro für dieses Buch zu bezahlen, wird mit Sachinformationen und akademischen Meinungen für die Dynamik von Angriff und Verteidigung belohnt.
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