Selbstverteidigung, die funktioniert von Andreas Häckel

📖  Häckel, A. (2008). Selbstverteidigung, die funktioniert: Vermeiden, Beschwichtigen, Aktiv werden – Mit Spezial-Tipps für Frauen. Stuttgart: Pietsch Verlag.

Der Kollege Häckel präsentiert uns hier einen breit angelegten Überblick über gängige Selbstschutzthemen. Das Buch fasst typische Bereiche wie Aufmerksamkeit, Körpersprache, Beschwichtigung und einfache Abwehrbewegungen zusammen und ordnet sie in ein eigenes Drei-Schritte-Modell ein. Diese Struktur soll einen schnellen Zugang zum Thema vermitteln und richtet sich klar an Einsteiger, die eine erste Orientierung suchen. Das bietet das Buch, auch wenn dieser Zugang recht beliebig ist.

Auffällig ist, dass die inhaltliche Tiefe durchgehend ein wenig begrenzt bleibt. Die Kapitel streifen zentrale Aspekte der Gewaltprävention und Selbstbehauptung lediglich oberflächlich. Die theoretischen Hinweise wirken teilweise brauchbar, insbesondere im Bereich der Vermeidung alltäglicher Risiken. Dort zeigt das Buch solide Grundgedanken: Gefahren erkennen, Distanz wahren, klare Körpersprache entwickeln. Diese Ansätze finden sich in vielen etablierten Programmen wieder und entsprechen gängigen Modellen der zivilen Selbstschutzpädagogik.

Die Darstellung der Techniken im Hauptteil dieses Buches erfolgt stark bildzentriert. Ist insofern ein typisches Merkmal vieler populärer Selbstverteidigungsratgeber, die man auch SV-Bilderbücher nennen könnte. Die zahlreichen Fotos sind sauber inszeniert, zeigen aber idealisierte Bewegungen in standardisiert isolierten Situationen. Gerade dieser Ansatz führt zu einem methodischen Problem: Diese „Abläufe“ sind kaum geeignet, um reale Dynamiken von Angriffen abzubilden. Es fehlen Hinweise zu Entscheidungsverhalten, Stressphysiologie, Bewegungschaos oder zur Notwendigkeit adaptiver Reaktionen. Die Praxistauglichkeit bleibt damit leider stark begrenzt.

Der mechanische Stil der Techniken spiegelt den kampfsportlichen Hintergrund des Autors wider. Häckel beschreibt lineare, klar strukturierte Bewegungsmuster, die unter kontrollierten Bedingungen für talentierte Experten wie ihn funktionieren können, in unvorhersehbaren Situationen jedoch an Grenzen stoßen. Besonders sichtbar wird das beim Versuch, die von ihm als Speer-Taktik bezeichnete Idee aufzugreifen. Obwohl Andreas Häckel ausdrücklich auf Tony Blauers Ansatz verweist, bleibt die Umsetzung im Buch rein äußerlich. Die Grundidee wird benannt, aber ohne das Fundament, das dieses System eigentlich auszeichnet. Insbesondere der Fokus auf neurophysiologische Reaktionen und Frühintervention. Häckel bleibt bei Flinch und Keil. Hier wird ein komplexes Konzept erwähnt, aber nicht fachgerecht vermittelt.

Die Abschnitte zu Frauen, ins Feld geführt als „Spezial-Tipps“, enthalten zwar einige alltagsnahe Hinweise, doch auch hier bleibt die Darstellung allgemein und liefert wenig operative Orientierung für komplexere Situationen. Es gibt einen Verwies auf Körpersprache, Opferauswahldenken aus Sicht der 90er Jahre und eine Deeskalationsmaxime.

Ist bis hierher arg kritisch, aber das Buch enthält keinen expliziten Unsinn. Das kommt vermutlich durch die konzeptionelle Beschränkung und der Autor hält damit das Versprechen des Titels. Das funktioniert. Niemand wird ihm das Gegenteil beweisen können. Insofern ist es ein absoluter Glücksfall in der Welt der SV-Bilderbücher. Die Aussagen bleiben im Rahmen dessen, was in populären Einsteigerwerken üblich ist, und alle spektakulären oder überzogenen Versprechen werden effektiv vermieden. Es handelt sich um ein breit gefächertes, optisch ansprechendes Überblickswerk, das grundlegende Gedanken beschreibt. Für Leserinnen und Leser, die sich erstmals mit dem Thema beschäftigen möchten, kann der Überblick nützlich sein. Für ein vertieftes Verständnis von Gewalt, Dynamik und funktionaler Selbstverteidigung bietet das Buch zu wenig Substanz und zu wenig methodische Tiefe.

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